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Web-Abzocke

Wie sich Verbraucher gegen Abo-Fallen wehren können

Routenplaner und Rezepte: Wer arglos auf manchen solcher Serviceseiten Formulare ausfüllt, bekommt fix Mahnungen über vermeintliche Abo-Gebühren. Gerichte nennen die Seitengestaltung unzulässig, und die Staatsanwaltschaft ermittelt. Aber noch läuft die Abzocke weiter.

Spiegel Online, 11.7.2008

Man kann es ja mal versuchen: Seit Monaten verlangt die Münchner Anwältin Katja Günther in immer neuen Mahnungen von einem SPIEGEL-ONLINE-Mitarbeiter die Bezahlung eines Abos. Angeblich hat der Kollege um 15.39 Uhr am 20. Dezember vorigen Jahres von einer IP-Adresse des Internet-Providers Freenet aus ein Abo auf der zwielichtigen Seite Online-routenplaner.de abgeschlossen. Drei Monate Zugang für knapp 60 Euro.

Nur: So kann es nicht gewesen sein. Denn zu der Zeit arbeitete der Kollege nachweislich in der Redaktion und kann die Seite gar nicht unter der Freenet-IP-Adresse aufgerufen haben.

Inzwischen hat Anwältin Günther die Forderung kräftig aufgestockt: Samt Verzugszinsen und Anwaltsgebühren verlangt sie nach drei Monaten Mahnerei mehr als 100 Euro für den angeblichen "Dienstleistungsvertrag" mit ihrer Mandantin, der Online Content Ltd.. Googelt man den Firmennamen, wird schnell das enorme Ausmaß der anwaltlich eingetriebenen Zahlungsforderungen dieser Firma für Web-Abos deutlich: Ein paar tausend Treffer liefert Google, weit vorne in der Ergebnisliste sind Seiten mit Aussagen wie:

SPIEGEL ONLINE hat mehr als ein Dutzend Internet-Angebote des Anbieters gesichtet, alle sind nach demselben Muster aufgebaut: Die Startseite wirbt für das Angebot, klickt man weiter, müssen Name, Adresse, E-Mail-Kontakt und Geburtsdatum in ein Formular getippt werden.

Im Kleingedruckten am Ende der Formularseite stehen Fußnoten wie diese: "Der einmalige Preis für einen Drei-Monats-Zugang zu unserem Routenplaner beträgt 59,95 Euro inkl. gesetzlicher Mehrwertsteuer."

Vier Dinge fallen bei diesen Angeboten auf:

  • Zu den kostenpflichtigen Angeboten der Online Content Ltd. - Routenplaner, Gedichte, Rezepte und Hausaufgaben - gibt es im Web viele kostenlose Alternativen.
  • Die Abopreise führen die Seiten der Online Content Ltd. in einem kleinen Fußnotentext unter dem Anmeldeformular und versteckt in den Geschäftsbedingungen auf.
  • Anders als Online-Shops es gewöhnlich tun, verlangen die Angebote der Online Content Ltd. keine Auswahl einer Zahlungsart, bieten keine Zahlung per Kreditkarte, Bankeinzug oder über einen Dienstleister wie Paypal. Die Folge: Wer das Formular flüchtig ausfüllt, ohne die Fußnoten zu lesen, kommt kaum auf die Idee, dass er zahlen muss.
  • Da keine Zahlungsdaten angeben werden müssen, kann die Formulare jeder mit im Web abgreifbaren Daten anderer ausfüllen – so wie es offensichtlich beim vermeintlichen Routenplaner-Abo des Mitarbeiters von SPIEGEL ONLINE geschehen ist.

Diese Gestaltung der Bezahl-Web-Seiten hat zuletzt das Oberlandesgericht Frankfurt als unzulässig erklärt - für vier der Angebote von Online Service Ltd..

Gericht nennt Abo-Seiten irreführend

In dem nun bekannt gewordenen, SPIEGEL ONLINE vorliegenden Beschluss (6 U 266/07) führt das Gericht aus: "Die hier im Streit stehenden Sternchenhinweise sind schon deshalb nicht klar und unmissverständlich, weil die Werbeadressaten überhaupt nicht in Erwägung ziehen, etwas für die Teilnahme an dem Lebenserwartungstest, dem Berufswahltest, dem IQ-Test oder dem Flirt-Portal zahlen zu müssen."

Daraufhin ist jetzt ein Urteil gegen die Online Service Ltd. vom vorigen Dezember rechtskräftig geworden. Damals urteilte das Landgericht Hanau (Az. 9 O 870/07), dass die Online Service Ltd. die Preise für die Dienstleistungen auf vier beanstandeten Seiten versteckt und damit gegen die Preisangabenverordnung und das Wettbewerbsrecht verstößt. Geklagt hatte der Dachverband der Verbraucherzentralen (VZBV). Thomas Bradler, der Justiziar des Verbandes, schätzt, dass sich in Deutschland "jeden Monat rund 20.000 Web-Nutzer bei solchen Abo-Fallen im Internet registrieren".

Mahnungswelle per Mailing-Dienstleister

Wie viele vermeintliche Abo-Abschlüsse davon auf die Online Service Ltd. oder Online Content Ltd. entfallen, ist unbekannt. Weder das Unternehmen noch dessen Anwältin Katja Günther haben auf Anfragen von SPIEGEL ONLINE reagiert. Aber das Unternehmen ist offensichtlich schon länger in diesem Geschäft. VZBV-Justiziar Bradler berichtet: "Mit den Anbietern hinter Angeboten wie Online-routenplaner.de oder hausaufgaben-server.com haben wir seit eineinhalb Jahren zu tun. Die als Betreiber angegebenen Unternehmen haben mehrfach gewechselt, eine Zeit lang war es die NetContent Ltd., derzeit ist es die Online Content Ltd.."

Die Zahlungen treibt Anwältin Katja Günther im großen Stil für die Online Content Ltd. ein. Bei der letzten großen Mahnungswelle, die bekannt wurde, verschickte Günthers Kanzlei Mahnungs-E-Mails mit Betreffzeilen wie "ANWALTLICHE MAHNUNG / AZ [...] / Online Content LTD." über den Mailing-Dienstleister Emarsys, der zum Beispiel für Ebay den Großversand von Newslettern abwickelt. Emarsys stoppte den Versand nach einem Hinweis des IT-Fachmagazins iX.

GEGENWEHR: SO KÄMPFEN VERBRAUCHERSCHÜTZER GEGEN WEB-ABZOCKE

Wie ist die Abo-Abzocke zu stoppen? Verbraucherschützer setzen auf Informationskampagnen, Musterprozesse und neue Gesetze.

Web-Angebote prüfen
Wer im Web unterwegs ist, sollte Fußnotentexte und AGBs bei Angeboten sehr genau prüfen, bevor er persönliche Daten in Formulare tippt. Die Screenshots in der SPIEGEL-ONLINE-Fotostrecke geben einen Eindruck, wie Angebote die Abo-Hinweise verstecken. Gegen kriminelle Spaßvögel, die in solche Abzockformulare einfach Namen und Anschriften anderer Menschen tippen, wie höchstwahrscheinlich im Fall eines SPIEGEL ONLINE-Mitarbeiters geschehen, hilft auch alle Vorsicht nicht.

Angebliche Abonnenten sollten nicht zahlen
Den Empfängern solcher Mahnung raten die Verbraucherzentralen, nicht zu zahlen, wenn die Forderungen unberechtigt sind. In einem Service-Beitrag führt die Verbraucherzentrale NRW zum Beispiel aus: "Auch wer bei einer solchen Forderung mit Mahnungen und Schreiben von Inkassobüros oder Rechtsanwälten überhäuft wird, sollte sich auf keinen Fall einschüchtern lassen." Die Verbraucherschützer bieten auch Widerspruchsmusterbriefe für Betroffene an.VZBV-Justiziar Bradler erklärt: "Wir schätzen die Chancen der Unternehmen, ihre Zahlungsforderungen vor Gericht durchzusetzen als gering ein." Dass Online Content Ltd. das in Einzelfällen versucht, ist allerdings nicht auszuschließen – die Entscheidungen der Gerichte in Frankfurt und Hanau beziehen sich auf Wettbewerbsrecht, vier konkrete Angebote und deren Gestaltung zu einem bestimmten Zeitpunkt.

Wettbewerbsrechtliche Prozesse
Jurist Bradler vom VZBV erwartet von solchen Prozessen daher auch nicht eine endgültige Lösung des Problems: "Für diese Abo-Angebote mit gut versteckten Kosten ist kein Ende abzusehen." Mit den von Verbraucherschützern angestrengten Prozessen allein seien die Betreiber nicht zu stoppen: "Sobald ein neu gegründetes Unternehmen die Dienste betreibt oder die Seiten etwas anders gestaltet sind, gilt ein altes Urteil nicht mehr und wir müssen erneut klagen. Das dauert."

Neues Gesetz gegen Abo-Abzocke
Verbraucherschützer hoffen, dass der Bundestag irgendwann den gesetzlichen Rahmen für solche Angebot enger fasst. Bradler: "Ein Gesetz sollte die Anbieter von Web-Abo-Diensten auf möglichst konkret vorgegebenen Verfahren verpflichten, wie sie etwaige Kunden über die Preise der Web-Dienstleistungen zu informieren haben." 

Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Mahnanwältin

Noch bevor aber die Gesetzesinitiative gegen Abo-Abzocke im Web kommt, könnten zumindest die Mahnungen von der Kanzlei Günther ein anderes Ende finden. Die Staatsanwaltschaft München I ermittelt gegen die Anwältin Katja Günther, wie der leitende Oberstaatsanwalt Christian Schmidt-Sommerfeld auf Anfrage von SPIEGEL ONLINE bestätigte: "Es ist ein größeres Ermittlungsverfahren, das sich aus mehreren Anzeigen und einer Zuleitung der Rechtsanwaltskammer München zusammensetzt. Wir prüfen noch, welche Straftatbestände hier erfüllt sein könnten."

Die Ermittlungen dürften sich also noch einige Zeit hinziehen. Ob Anklage erhoben wird, ist unklar. Anwältin Günther hat per Fax und E-Mail übermittelte Fragen von SPIEGEL ONLINE zu ihrer Tätigkeit für die Online Content Ltd. nicht in der gesetzten Frist beantwortet, sie war unter keiner der in den Gelben Seiten und ihren Schreiben aufgeführten Nummern zu erreichen.

Ein Fax an den sogenannten Kundensupport des Angebots Online-Routenplaner.de blieb ebenfalls unbeantwortet, eine E-Mail an die im Web angegebene Adresse wurde mit einem Standardschreiben beantwortet.

Statt auf die Fragen zum Geschäftsgebaren des Unternehmen einzugehen, vermutete der Support offenbar die "Beanstandung" einer Rechnung und führte forsch aus: "Unsere Aufzeichnungen belegen Ihre Anmeldung unter Angabe Ihrer E-Mail-Adresse. An diese Adresse wurde Ihnen ein Aktivierungs-Link für den Zugang zum Mitgliedsbereich gesandt."

Offenbar geht das Unternehmen also davon aus, dass alle E-Mails von Kunden Rechnungen beanstanden.

Könnte stimmen.

 
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