Technikärgernis Schnürsenkel
Verflixt und zugeschnürt
Ihre Schnürsenkel halten nie? Dann binden Sie die falschen Knoten. Millionen Menschen stolpern deswegen über ihre eigenen Füße. Dabei sind perfekte Schuhschleifen-Techniken leicht zu erlernen. Mathematiker haben die besten erforscht.
Diesen Anblick wird Paul Ives nie vergessen - er war zu lustig: Als
der Brite vorigen August von der Arbeit nach Hause kam, hing da im
eingeschlagenen Erdgeschossfenster seines beschaulichen Häuschens im
britischen Dartford ein Mann. Kopfüber, am Schnürsenkel seines
Turnschuhs, der sich außen am Fensterrahmen verfangen hatte. Der ins
Wohnzimmer hängende Mann hatte einen Hammer in der Hand und schwor den
herbeigerufenen Polizisten: " Ich habe einen Einbrecher verfolgt." Zwei Monate später wurde der Einbrecher verurteilt. Die "BBC" titelte: "Knast für den Schnürsenkel-Einbrecher".
Der Schnürsenkel-Einbrecher ist eine von vielen Nachrichten auf der
Seite von Ian Fieggen, einem australischen Informatiker, der seit
Jahren gegen sich im falschen Augenblick öffnende Schuhschleifen
kämpft. Manche der Schnürsenkel-Unfälle in Fieggens Archiv sind absurd,
viele tragisch: Menschen ertrinken, werden überfahren, rasen mit ihren
Autos in Gebäude - alles wegen Schuhschleifen, die sich im falschen
Augenblick öffnen.
Das passiert ziemlich oft - mir bei manchen Schuhen mehrmals
täglich, anderen Leidgeplagten noch häufiger. Ein Schuhschleifen-Opfer
klagt im Web:
"Auf der Arbeit bin ich nahezu den ganzen Tag auf Achse und alle 20
Minuten ist bei einem Schuh wieder der Schnürsenkel offen." Dann der
Hilferuf: "Ich krieg da echt bald die Krise. Hat jemand einen Tipp,
dass die Schnürsenkel wieder besser halten?"
Ian Fieggen hätte da ein paar. Der 46-jährige Programmierer
analysiert nach eigener Aussage seit 1982 verschiedene Methoden zum
Binden von Schuhschleifen, betreut die wohl umfangreichste Website zum
Thema und hat eins der Standardwerke zum Thema veröffentlicht ("Laces:
100s of Ways to Pimp Your Kicks ").
Schlüpfrige Standardsenkel
Ein Grund dafür, dass die Schleifen bei manchen Schuhbändern immer
wieder aufgehen: Das Material. Fieggen: "Das kommt heute viel häufiger
vor, da viele Synthetik-Schnürsenkel sehr glatt sind, vor allem bei
Nylon." Helmut Farnschläder, Präsident des Zentralverbandes des
Deutschen Schuhmacherhandwerks, beobachtet das vor allem bei den
Standard-Schuhbändern: "Die allerallermeisten Schuhe haben von Fabrik
aus Schnürsenkel, die nicht aus reiner Baumwolle bestehen. Je mehr
Synthetikanteil, desto schlechter halten die Knoten. Die Firmen, die
Ersatzsenkel anbieten, beachten dieses."
Aber selbst mit derart schlüpfrigen Standardsenkeln lässt sich eine
ziemlich sicher sitzende Schleife binden - mit der richtigen Technik.
Schuhschleifen-Experte Ian Fieggen erklärt: "Dass Schleifen sich lösen,
liegt meistens am Knoten. Ich weiß das, weil ich einen besonderen
Knoten nutze und meine Schuhschleifen nie einfach so aufgehen."
Der Altweiberknoten sitzt allzu locker
Der häufigste Fehler beim Schuhbinden: Die Menschen wollen
eigentlich eine Schleife mit einem Kreuzknoten binden (die würde recht
sicher halten), machen aber aus Gewohnheit einen Altweiberknoten, der
sich viel leichter löst. Der Mathematiker David J. Green, der sich mit
der Knotentheorie beschäftigt, erklärt das so: "Der Reffknoten und der
Altweiberknoten sehen sehr ähnlich aus, sind aber verschieden. Der
herkömmliche Schnürsenkelknoten ist ein Reffknoten mit zwei Schleifen.
Manche Leuten haben aber aus Versehen gelernt, einen Altweiberknoten
anstelle von einem Reffknoten zu binden."
Den Unterschied beschreibt Ian Fieggen auf seinen
Schnürsenkel-Web-Seiten
sehr ausführlich. Auf Diagrammen sehen Knoten zunächst sehr verwirrend
aus, aber der Unterschied ist eigentlich recht simpel: Beim
Altweiberknoten hat der erste Knoten dieselbe Orientierung wie der
zweite, beim Kreuzknoten sind die gegensätzlich. Was das konkret heißt,
erkennt man mit etwas Selbstbeobachtung. Ich binde zum Beispiele meine
Schuhe intuitiv so: Linker Schnürsenkel über den rechten, dann ein
Überhandknoten, dann links eine Schlaufe und den rechten Riemen hinten
herum um diese.
Das ist aber der perfekte Altweiberknoten - zweimal links statt
einmal links und einmal rechts. Die Lösung ist ganz einfach: Beim
ersten Knoten nicht den linken über den rechten Schnürsenkel legen,
sondern umgekehrt. Ian Fieggen hat auf seiner Web-Seite alle Methoden,
einen Altweiberknoten zu binden, aufgelistet und um Vorschläge ergänzt,
wie man diese seit Jahren Tag für Tag antrainierten Abläufe durch eine
minimale Veränderung korrigieren kann.
Dass man Jahre lang nicht darauf kommt, als Kind die falsche
Schleifentechnik gelernt zu haben, verblüfft viele Besucher von
Fieggens Seite. Einige schreiben ihm dann E-Mails
wie Martin aus den Niederlanden, der die Schuhschleifen-Seite in einem
Mountainbike-Forum entdeckte: "Was für eine Erleuchtung! Ich bin 31 und
meine Schnürsenkel sind bis jetzt ständig aufgegangen. Nun weiß ich,
warum."
Ian Fieggens Super-Knoten
Um eine lang antrainierte Altweiberknoten-Routine aufzugeben, muss
man sich einige Tage lang sehr langsam und bewusst die Schuhe binden.
Wer will, kann diese Mühe auch gleich investieren, um einen völlig
anderen Schleifenknoten zu lernen. Ian Fieggens stellt auf seinen
Seiten einige zur Auswahl, noch mehr findet man im Buch "A Mathematical
Guide to the Best (And Worst) Ways to Lace Your Shoes" des
Mathematikers Burkhard Polster.
Ian Figgiens schnürt seine Schuhe seit Jahren mit seiner Eigenentwicklung, dem "
Ian Knoten".
Figgiens zufolge ist der Knoten einer der sichersten, sieht ordentlich
und symmetrisch aus, beansprucht das Material weniger und lässt sich -
einmal gelernt - deutlich schneller binden als die herkömmliche
Schuhschleife. Figgiens: "Ich brauche ein Drittel der Zeit wie für
einen gewöhnlichen Knoten."
Wenn das stimmt, holt man den Rest seines Lebens über sicher die
Zeit locker wieder auf, die man braucht, um sich den Ian Knot
anzutrainieren - das ist zwar noch mühsamer als sich einen
Altweiberknoten abzugewöhnen. Aber nach ein paar Tagen funktioniert das
fast mit derselben Routine, mit der man Jahre lang allzu lockere
Schuhschleifen gebunden hat. Eine schlechte Angewohnheit, die man
unbedingt loswerden sollte.
Denn wer will schon irgendwann in die unangenehme Situation kommen,
im Museum über seine offenen Schnürsenkel zu stolpern und drei
Mingvasen zu zerschmettern.
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