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Online-Shops
Parteien tappen in die Abmahnfalle
Wehe, wer im Internet Dinge verkaufen will: Komplexe Gesetze machen Online-Handel zum Risiko. Nach SPIEGEL-ONLINE-Informationen waren lange nicht mal die Webshops der Parteien rechtssicher - CDU, SPD, FDP, Grüne und Linke hatten schon Ärger. Trotzdem wollen die wenigsten die Gesetze verbessern.
Spiegel Online, 17.2.2010
Peter Hauk zeigte sich alarmiert, als er sich an die Presse wandte. Der Verbraucherminister von Baden-Württemberg hatte eine Untersuchung über Online-Shops in Auftrag gegeben. Die Organisation "Euro-Info-Verbraucher" knöpfte sich die Einkaufsangebote im Internet vor - und siehe da: Die ersten Zahlen aus der Studie waren erschreckend. Der CDU-Politiker zitierte Ende Dezember aus einem Zwischenbericht der Untersuchung, bei 80 Prozent der geprüften Shops seien die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) "mangelhaft" gewesen. In rund "95 Prozent der Fälle wurde mindestens ein Verstoß gegen geltendes Verbraucherschutzrecht festgestellt". Kurz: Die Geschäftsbedingungen seien "häufig wenig verbraucherfreundlich gestaltet". Die komplette Studie soll im März fertig sein, und der Auftritt des Ministers macht klar: Der Online-Handel dürfte darin nicht allzu gut wegkommen. Es gibt zu viele Fehler bei Geschäftbedingungen und Widerrufsbelehrungen, zum Schaden der Verbraucher. Aber an wem liegt's?
Die Antwort: In einigen Fällen zweifellos am bösen Willen dubioser Händler. Doch in der Mehrzahl der Fälle eher am recht komplexen Regelungsgewirr in Deutschland zu jenem Bereich, der bürokratisch "Fernabsatz" genannt wird. CDU-Shop scheitert an der Widerrufsbelehrung Dieses Problem erkennt jeder, der die Musterwiderrufsbelehrung des Justizministeriums liest, an die sich Online-Händler halten sollen. Dieser Mustertext soll Mitte Juni sogar in das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) überführt werden, was mehr Rechtssicherheit bringen wird - doch er liest sich, wie sein Titel klingt: "Anlage 2 zu § 14 Abs. 1 und 3 der Verordnung über Informations- und Nachweispflichten nach bürgerlichem Recht". Mit allen Fußnoten bringt es allein dieser Text auf mehr als 11.000 Zeichen Text - etwa vier Seiten in einem Taschenbuch. Und hierbei handelt es sich schon um eine entschlackte Version im Vergleich zu früheren Musterwiderrufsbelehrungen. Carsten Föhlisch, Justitiar des Online-Shop-Dienstleisters "Trusted Shops", bringt es auf den Punkt: "Über eine zu komplizierte Rechtslage kann man nicht klar und verständlich belehren." Eine Recherche von SPIEGEL ONLINE zeigt nun: Pikanterweise gelingt dies auch den Parteien nicht. In ihren Webshops verkaufen die Parteien T-Shirts und allerlei Kuriositäten. Dort müssen sie wie jeder andere Shopbetreiber Kunden ordnungsgemäß über das Widerrufsrecht belehren. Und das klappt nicht immer.
Die Verstöße in den Shops der CDU und der Jungen Liberalen haben Tobias Schmitz überrascht: "Das waren teils richtig derbe Verstöße wie fehlerhaftes Impressum, fehlende Widerrufsbelehrung. Das weiß jeder kleine Ebay-Händler besser." Schmitz mahnte die T-Shirt-Vertreiber der Parteien ab, weil das "im Sinne des Gesetzgebers" sei. "In Deutschland sollen die Marktteilnehmer untereinander die Detailfragen bei wettbewerbsrechtlich relevanten Verstößen regeln", sagt er. "Das ist so gewollt." Grüne und Linke hatten Rechtsärger mit ihren Webshops Besonders ärgert Schmitz angesichts der komplexen Rechtspraxis, dass Politiker angeblich verbraucherfeindliche Regelungen bei vielen Händlern kritisieren. "Klar, bei der aktuellen Rechtslage ist es ein leichtes, in fast jedem Shop einen 'Verstoß gegen Verbraucherschutzrechte' festzustellen", sagt er. Das können die Parteien bestätigen:
Es ist erstaunlich, dass Parteien an einer rechtlich korrekten Gestaltung ihrer Webshops scheitern - trotz ihrer Rechtsexperten, trotz ihres im Vergleich zu vielen Webshops immensen Mitarbeiterstabs. Wie sollen Ein-Mann-Antiquariate oder Kunsthandwerker ihren Online-Auftritt rechtssicher gestalten, wenn CDU, Grüne und Junge Liberale daran scheitern? Bis 2008 war die Rechtsunsicherheit bei Webshops so groß, dass sogar Staatsanwaltschaften an einer korrekten Formulierung der Rechtstexte scheiterten. Das Chaos ist kleiner, seit es die erwähnte entschlackte Musterwiderrufsbelehrung des Justizministeriums gibt, in der die gröbsten Schnitzer gegenüber früheren Versionen getilgt wurden. "Mir ist kein Fall bekannt, in dem die Verwendung des neuen Musters erfolgreich abgemahnt wurde", sagt Trusted-Shops-Justitiar Carsten Föhlisch. "Voraussetzung für die Rechtssicherheit ist allerdings, dass die Belehrung dem Muster vollständig entspricht. Werden Passagen weggelassen, nicht gemäß den Gestaltungshinweisen eingesetzt oder auch nur leicht verändert, greift die sogenannte Privilegierung nicht mehr" - also der besondere Schutz durch die Übernahme des Mustertextes. Mit den Ergänzungen und Gestaltungshinweisen ist das allerdings so eine Sache: Die elf Fußnoten mit Einschränkungen, Sonderfällen und Einschüben klingen zum Beispiel so: "Wird die Belehrung erst nach Vertragsschluss mitgeteilt, lautet der Klammerzusatz 'einem Monat'. In diesem Fall ist auch Gestaltungshinweis 7 einschlägig, wenn der dort genannte Hinweis nicht spätestens bei Vertragsschluss in Textform erfolgt." Und das Schlimmste: Für Kunden sind die angeblich so verbraucherfreundlichen Widerrufsbelehrungen keineswegs leicht verständlich. Eine Kostprobe: "Die Frist beginnt nach Erhalt dieser Belehrung in Textform und auch nicht vor Erfüllung unserer Informationspflichten gemäß § 312c Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 1 Abs. 1, 2 und 4 BGB-InfoV." Alles klar? Noch komplizierter wird es für Webshops und ihre Kunden durch Ausnahmeregelungen wie die 40-Euro-Klausel. Dabei geht es darum, dass der Händler in bestimmen Fällen den Kunden beim Widerruf die Portokosten für die Rücksendung der Ware übertragen kann. Das muss der Händler nun in den AGB formulieren, aber auch in der Widerrufsbelehrung. Allerdings interpretieren einige Juristen das wiederum als irreführend. Parteien zur Lage: "Eigentlich klar. Abwarten. Kein Handlungsbedarf" Knapper, präziser, einfacher müssten die Regelungen werden - dann hätten auch die Parteien weniger Ärger mit ihren eigenen Webshops. Das Interesse der Fraktionen an einer Gesetzesänderung hält sich allerdings in Grenzen:
Im Umkehrschluss bedeutet das: Union und SPD gehen davon aus, dass 80 Prozent der Webshop-Betreiber absichtlich oder zumindest grob fahrlässig gegen die gesetzlichen Vorgaben verstoßen, um ihre Kunden zu übervorteilen. Das ist schwer zu glauben.
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