Kolumne Fehlfunktion

Technikärgernis Frischhaltefolie

Frust mit fiesen Folien

Abreißen, einwickeln, aufheben - von wegen! Um einen Fetzen Frischhaltefolie zu ergattern, müssen Hobbyköche meistens erstmal lange und kräftig an der Rolle zerren. Physiker belegen: Viele Folien strecken sich lieber erstmal ausgiebig statt zu reißen.

Spiegel Online, 30.12.2008

Werber haben der Frischhaltefolie schon alle erdenklichen Komplimente gemacht - "hauchzart" sei sie, diese "Sichtfolie mit Hafteffekt", dichtete der Hersteller Melitta 1965 bei der Einführung in Deutschland. Später schwärmten Anzeigen von der "atmenden", ja sogar von der "extra anschmiegsamen" Folie.

Wenn es diese filigrane, zärtliche Küchenhilfe wirklich gibt, dann hat sie unangenehme Verwandtschaft, die ihr zum Verwechseln ähnlich sieht.

Die Opfer des Zwillings klagen in Koch-Foren ihr Leid. Da schreiben Menschen, sie würden schon beim Abreißen der fiesen Folie "die Krise bekommen". Denn: "Dafür hat die Packung ja so Zähne, nur die Folie reißt nie so, wie ich es möchte. Meistens brauche ich einen Meter (oder zwei), bis ich überhaupt ein brauchbares Stück abgerissen habe."

Von wegen hauchzart und extra anschmiegsam - stur und verbissen sei die fiese Verpackungshilfe. Trauriges Fazit eines Kochs, der an die falsche Folie geraten ist: "Leider habe ich auch noch nicht die Richtige gefunden."

Experimente mit Extra-Schneidewerkzeug enden manchmal mit verzweifelten Hilferufen wie diesem: "Das gezackte Ding auf der Schachtel hält nicht, der Versuch mit einem Messer funktioniert auch nicht. Und dann klebt sie überall da, wo sie nicht soll. Was kann man da tun?"

Probieren.

Beim Selbstversuch mit drei in Supermärkten gekauften Folien zeigten sich deutliche Unterschiede: Manchen Folien lassen sich nur mit viel Kraft abreißen. Am Schneidemechanismus kann das eigentlich nicht liegen, denn der ist bei den drei Verpackungen identisch: An der Kante des Deckels kleben Kunststoffzacken.

Viel Gezerre für einen Fetzen Folie

So sollte das eigentlich gehen: Deckel öffnen, Folie rausziehen, Deckel schließen und mit einer Hand draufdrücken, Folie nach oben hin an der Zackenkante des Deckel mit der anderen Hand abreißen.

Wie viel Kraft dafür nötig ist, sieht man nach einigen abgerissenen Metern Folie an der Form der Verpackung: Bei der Folie der Plus-Eigenmarke "Maker" zum Beispiel steht der Pappdeckel nach Benutzung bald nach oben ab, die Abreißkante ist ausgebeult. Denn beim Abreißen braucht man viel Kraft - am Anfang reißt die Folie noch sauber, aber dann dehnt sie sich irgendwann nur noch, man muss schon ordentlich zerren, um der Rolle einen Fetzen Folie abzuringen.

Fiese Folie dehnt sich, statt zu reißen

Auch bei der Penny-Folie "Sylvana ist das beschwerlich, sie dehnt sich bisweilen hartnäckig, statt zu reißen. Abreißen ohne Gedehne und Gezerre klappt nur bei der deutlich teureren Toppits-Folie zuverlässig bei jedem Mal.

Warum das Abreißen bei manchen Folien immer leicht, bei anderen mal gar nicht, mal schlecht funktioniert, will keiner der Hersteller erklären. Abreißtechnik? Verpackung? Zusammensetzung der Folie? Toppits-Sprecherin Daniela Dziedzic: "Leider können wir Ihnen aus wettbewerbsrechtlichen Gründen keine näheren Auskünfte zur chemischen Zusammensetzung der Folie geben."

Einen Hinweis, woran das liegen könnte, gibt Plus-Sprecherin Silvia Jurisevic. Die Plus-Folie - eine der hartnäckigeren im Selbstversuch - sei "15 Mikrometer stark", die Toppits-Folie nur "maximal 12 Mikrometer dick und somit mindestens 20 Prozent dünner." Das würde der Abreißfähigkeit zugutekommen. Bei Plus habe man deshalb "vor einiger Zeit die Papiersäge zum Abreißen gegen eine stabilere Kunststoffsäge ausgetauscht" und die "Faltschachtel aus dem stabilsten Kraftkarton" bauen lassen, den der Lieferant anzubieten habe.

Zerren muss man an der Plus-Folie trotzdem weiterhin - aber dafür kostet sie im Supermarkt weniger.

Und die widerspenstige Penny-Folie? Die ist laut Firmensprecher Andreas Krämer "weder in der Produktqualität, noch in der Verpackung und auch nicht in der Abreißfähigkeit eingeschränkt", die "Festigkeiten und die Dehnungswerte" seien im Vergleich zu anderen Folien sogar "überdurchschnittlich gut". Es habe keine Beschwerden gegeben. Vielleicht haben wir uns beim Abreißen nur dämlich angestellt, obwohl wir strikt nach Anleitung gearbeitet haben ("über die Zackenkante von einer Seite zu (sic) anderen abreißen").

Vier Physiker untersuchen drei Folien

Was die verschiedenen Frischhaltefolien voneinander unterscheidet, haben auf Anregung von SPIEGEL ONLINE vier Doktoranden von Physikprofessor Armin Gölzhäuser an der Universität Bielefeld mit viel Aufwand untersucht. Christoph Nottbohm, Heiko Muzik, Mark Schnietz und Matthias Büenfeld haben die Spannkraft in Abhängigkeit von der Ausdehnung dreier Frischhaltefolien getestet. Auch hier ließ sich die Toppits-Folie deutlich einfacher abreißen als die Günstigprodukte von Discounter-Marken (Ja, Gut & Günstig).

Als Ursache dafür machen die Physiker das Dehnverhalten der Folien aus. Hier unterscheidet sich die Toppits-Folie von den anderen: "Zuerst waren die beiden preiswerteren Folien etwas zugkräftiger als die dritte Folie, aber bei Überschreiten des elastischen Bereichs sind die beiden Folien wesentlich dehnfähiger."

Einfacher gesagt: Sie lassen sich schlechter reißen. Ergebnis des Selbstversuchs der Physiker: "Während die Toppits-Folie sich wenig dehnen lässt und so anscheinend recht früh reißt, dehnen sich die beiden anderen recht stark aus, bevor sie reißen. Dabei sind starke plastische Verformungen zu erkennen. Diese Dehnbarkeit ist auch der Grund, warum die Folien sich so schlecht von der Kante abreißen lassen."

Einfrieren hilft nicht

Dagegen hilft auch Einfrieren nicht - den in Web-Foren oft weiter erzählten Kaltschneide-Mythos entkräfteten Toppits-Sprecherin Dziedzic: "Eine kalte Folie ist weniger elastisch und wird eher spröde, sie muss dann aber schon sehr kalt sein, minus 40 bis minus 80 Grad Celsius."

Vielleicht ein kleiner Trost für entnervte Hobbyköche: Im Labor geht es zu wie im Haushalt. Aus dem Zwischenbericht der vier folientestenden Physik-Doktoranden: "Es zeigt sich auch, dass gerade die Folien von Ja und Gut & Günstig schwierig zu handhaben sind, da sie relativ schnell und fest an sich selbst haften und man so Folienstücke neu präparieren musste."