CSU versteht Führergedichte „aus der Zeit heraus“ Ein Nazidichter als Namenspatron einer Straße im oberbayerischen Rosenheim ist für die CSU vor Ort kein Problem. Neues Deutschland, 23.02.2000Rosenheim in Oberbayern ist keine Wunschheimat der literarischen Avantgarde. Umso mehr freut sich die lokale CSU über den vermeintlichen Dichter Florian Seidl, dem zu Ehren eine Straße benannt ist: „Er ist ein bekannter Dichter, heute noch berühmt für seinen Schwabinger Künstlerkreis“, weiß die CSU-Fraktionsvorsitzende im Stadtrat Gabriele Bauer. Bekannt ist Seidl aber vor allem für Verse an den Führer. Am 1. September 1940 dichtete er zum Jahrestag des Kriegsbeginns im Völkischen Beobachter: „Du zwangst Dein ganzes Volk zu Deiner Größe / und hältst es milde in der starken Hand / wo eine Schwäche war und eine Blöße / Du hast sie mit dem Feuer ausgebrannt!“ Die Rosenheimer SPD und die „Wähler-Initiative-Rosenheim“ (WIR) interpretieren die Zeilen anders als die CSU-Mehrheit im Stadtrat. Bereits 1997 stellte die SPD einen Antrag auf Umbenennung. Fraktionsvorsitzender Lachowski: „Wir sind an der CSU- Mehrheit und der NPD gescheitert. Man sagte, die Gedichte müssten aus der Zeit heraus verstanden werden, auch vom Diktat nach dem ersten Weltkrieg war die Rede.“ In der vergangenen Woche hat die WIR-Fraktion einen erneuten Antrag auf Umbenennung gestellt. Denn Anfang des Jahren ist auch Regensburg, der Geburtstadt Seidls, eine nach ihm benannte Straße umgetauft worden. Knapp vier Jahre hat dort der Kampf gegen die CSU- Blockade gedauert. Doch die Fakten wurde zu erdrückend. Eberhard Dünninger, Honorarprofessor für neue deutsche Literatur an der Uni Regensburg, erstellte beschäftigt sich seit 1996 mit Seidl. Er erstellte ein Gutachten, indem er bestätigt, dass Seidl in seinen Werken die Nazilehre von der Erbgesundheit der Rasse vertrat. In dem Roman „Das harte Ja“ bezeichnete er geistig Kranke und Behinderte als wirtschaftlichen Schaden von gewaltiger finanzieller Größenordnung. Dünninger: „Dünninger hat das Gesetz über Erbkranke von 1933, das Hunderttausende zu Opfern machte, massiv unterstützt. Auch nach 1945 war er in rechtsextremen Kreisen aktiv.“ Seidl lebte von 1954 bis zu seinem Tod 1972 in Rosenheim. Er war auf geistige Kontinuität bedacht. So erhielt Seidl 1961 den Ehrenring und die Ehrenmitgliedschaft des „Deutschen Kulturwerkes Europäischen Geistes“. Diese Organisation erfasste das Innenministerium der bayerische Verfassungsschutz bis in die 80er Jahre hinein als rechtsextremistische Vereinigung. Gegründet wurde der Verein ehemaliger NS-Kulturschaffender von Ex-SA-Mitglied Herbert Böhm. Seidl veröffentlichte auch im „Reichsruf“, einer Wochenzeitung der Deutschen Reichspartei, die n den 60ern in der NPD aufging. Das alles ficht die Rosenheimer CSU nicht an. Fraktionsvorsitzende Bauer: „Die Umbenennung ist uninteressant und für uns kein Thema. Es gibt wichtigeres, zum Beispiel Kindergartenplätze.“ Merkwürdig aber, dass die CSU es Anfang der 90er Jahre für wichtig genug hielt, einem Antrag der Stadtverwaltung zuzustimmen, eine Straße nach dem lokalen Industriellen Anton Kathrein zu benennen. Bauer argumentiert auch anders: „Man muss den Dichter aus seiner Zeit heraus verstehen. Niemand spricht davon, dass es eine falsche Verherrlichung ist, Straßen nach Verdun zu benennen, oder dass ein Herr Friedmann die Pressefreiheit in Frage stellt und bestimmt, wer im deutschen Fernsehen auftritt.“ Ob es also bei der nächsten Stadtratssitzung Anfang März oder Anfang April zu einer Umbenennung kommt, ist fraglich.
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